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Die Turken Drohen Vergeblich; Warum Frankreich Ein Gesetz Uber Den G

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    DIE TURKEN DROHEN VERGEBLICH; WARUM FRANKREICH EIN GESETZ UBER DEN GENOZID AN DEN ARMENIERN HAT
    Von Michaela Wiegel

    Frankfurter Allgemeine Zeitung
    15. Oktober 2006 Sonntag

    PARIS. "Sie starben, ohne wirklich zu wissen, warum, Manner,
    Frauen und Kinder, die nichts als leben wollten. Sie starben
    schamvoll, ohne Laut, zu Tausenden, zu Millionen, ohne daß es die
    Welt erschutterte": So besingt Charles Aznavour, der franzosische
    Chansonnier, den Volkermord am armenischen, an seinem Volk. Wer fragt,
    warum ausgerechnet die Franzosische Nationalversammlung immer wieder,
    allen turkischen Protesten zum Trotz, in den dustersten Kapiteln der
    osmanischen Geschichte herumstochert, der findet bei nationalen Ikonen
    wie Aznavour eine Erklarung. Aus dem armenischen Fluchtlingsjungen
    Varenagh Aznavourian, dessen Eltern den Schrecken der Massaker in ihrer
    Heimat entkommen waren, ist ein allseits bewunderter Franzose geworden.

    Charles Aznavour dient als Aushangeschild des Landes, ein mit 82
    Jahren noch immer agiler Star, den der Staatsprasident gern zu Reisen
    einladt. Wie Ende September, als Jacques Chirac der Republik Armenien
    den ersten offiziellen Staatsbesuch abstattete. Nachdem der Prasident
    einen Kranz am Denkmal zur Erinnerung an den Genozid von 1915 in
    der armenischen Hauptstadt niedergelegt hatte und "souviens-toi"
    ("Erinnere dich") ins goldene Buch der Stadt geschrieben hatte,
    sagte Chirac der Presse, es sei an der Zeit, daß auch die Turkei den
    Volkermord am armenischen Volk anerkenne. Deutschland, das sich den
    Greueltaten des Zweiten Weltkrieges und der Schoa gestellt habe,
    sei moralisch an dem Schuldeingestandnis gewachsen. Sollte die
    Turkei es ernst meinen, der europaischen Wertegemeinschaft uber eine
    Vollmitgliedschaft in der EU beizutreten, dann "ware sie gut beraten,
    aus ihrer Geschichte alle Lehren zu ziehen".

    Der Staatsprasident, einer der wenigen Verfechter eines EU-Beitritts
    der Turkei in Frankreich, zogerte nicht, aus dem Umgang mit dem
    armenischen Volkermord eine Vorbedingung fur einen turkischen
    EU-Beitritt zu machen. "Sollte die Turkei den Volkermord an den
    Armeniern anerkennen? Ganz ehrlich, ich glaube es", sagte Chirac.

    Hinter seinen Worten verbarg sich viel Berechnung. Die etwa eine halbe
    Million zahlende armenische Gemeinschaft in Frankreich verfugt uber
    viel Einfluß, auch an den Wahlurnen, aber sie genießt auch Zuneigung.

    Von dem Integrationserfolg der armenischen Fluchtlinge, die
    in Frankreich mit Ende des Ersten Weltkrieges Fuß faßten, ist
    Chirac aufrichtig angetan. Nicht alle schaffen es wie Charles
    Aznavour ins Wachsfigurenkabinett im Musee Grevin, aber Charaktere
    sind sie allemal. Da ware etwa Armen Petrossian, der beruhmteste
    Kaviarhandler von Paris, der gerade eine Fotoausstellung uber Armenien
    im franzosischen Außenministerium finanziert. Oder Alain Manoukian,
    der Modeschopfer, der einen Kirchenbau in der Heimat seiner Vorfahren
    spendiert. Der Fußballer Youri Djorkaeff, der Fernsehmoderator Daniel
    Bilalian, der Abgeordnete Patrick Devedjian, sie alle tragen dazu bei,
    daß die Armenier in Frankreich angesehen sind.

    Der Wunsch, das Unrecht nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, eint
    dabei die Exilgemeinde. Dem hartnackigen Willen einiger Abgeordneter
    verdankt es Frankreich, als erstes westliches Land ein Gesetz uber
    die Anerkennung des Volkermordes an den Armeniern verabschiedet zu
    haben. Es zahlt zu den Eigenarten der V. Franzosischen Republik,
    daß Geschichtspolitik uber Gesetze betrieben wird. Drei Jahre
    lang kampften die Abgeordneten fur das rein symbolische Gesetz und
    ließen sich weder von Sanktionsdrohungen aus der Turkei noch von
    Bedenken der eigenen Regierung beeindrucken. Seit dem 29. Januar
    2001 ist das Gesetz in Kraft getreten, das nur eine Zeile umfaßt:
    "Frankreich erkennt offentlich den armenischen Volkermord im Jahre
    1915 an." Wildeste Proteste aus der Turkei waren die Folge, und ein
    einseitiger Wirtschaftsboykott wurde angekundigt, aber nie wirklich
    eingehalten. Das Handelsvolumen zwischen Frankreich und der Turkei,
    das 5,2 Millionen Euro im Jahr 2000 betragen hatte, stieg allen
    Racheschwuren zum Trotz funf Jahre spater auf 9,7 Millionen Euro.

    Die Erfahrung ermutigte die Abgeordneten, ein harter Kern von
    Sozialisten und einige rechtsburgerliche Politiker, den nachsten
    Schritt zu wagen. Sie nutzten die sogenannte parlamentarische Nische,
    um ein Gesetz in die Nationalversammlung einzubringen, mit dem die
    Leugnung des Genozids an den Armeniern unter Strafe gestellt wird.

    Und sie blieben dabei ihrer Uberzeugung treu, daß dieser Genozid den
    Holocaust erst moglich gemacht habe und es deshalb nur logisch sei,
    die Leugnung des Volkermordes an den Armeniern genauso zu ahnden wie
    die Leugnung des Volkermordes an den Juden. Trotz offensichtlicher
    Manover der rechtsburgerlichen Regierung, aus Gefalligkeit gegenuber
    der Turkei das Gesetz zu kritisieren, stimmten die Abgeordneten ihm
    am Donnerstag in erster Lesung zu. Damit ist eine entscheidende Hurde
    im Gesetzgebungsverfahren genommen.

    Die Kritik armenischer Intellektueller, die in dem Strafgesetz eine
    Einschrankung der Meinungs- und Forschungsfreiheit sehen, nehmen die
    Verfechter der armenischen Sache ernst. Der UMP-Abgeordnete Patrick
    Devedjian brachte einen Änderungsantrag ein, wonach universitare und
    andere wissenschaftliche Forschungen von der Strafandrohung ausgenommen
    werden sollten. Doch eine Mehrheit wies dieses Vorhaben mit dem
    Argument zuruck, es konne nicht "zwei Kategorien des Volkermordes"
    geben: den Holocaust, der auch in der universitaren Forschung
    nicht geleugnet werden durfe, und den Genozid an den Armeniern,
    den Historiker anzweifeln durften.

    Die Befurworter des Genozid-Gesetzes haben auch das Referendum im
    Sinn, das in Frankreich stattfinden muß, bevor die Turkei in die
    EU aufgenommen werden kann. Sie sehen ihre Rolle auf lange Sicht
    und wollen sich gegen Versuche der Turkei wappnen, den Volkermord
    anzuzweifeln. Fur Charles Aznavour ehrt es Frankreich, sich nicht von
    turkischen Drohungen einschuchtern zu lassen. Der große Fehler der
    Turkei seit 30 Jahren bestehe darin, ihre Schuld nicht einzugestehen.

    "Wenn es auf der einen Seite 1,5 Millionen tote Armenier gibt und
    auf der anderen Seite fast keine Toten, dann kann man nicht von einem
    Krieg sprechen, sondern von einem Volkermord", sagte Aznavour. Als er
    bei dem Staatsbesuch sein Lied "Fur Armenien" anstimmte, soll auch
    Chirac feuchte Augen gehabt haben. Das Gesetz heißt der Prasident
    dennoch nicht gut - dafur sind die Wirtschaftsbeziehungen zur Turkei
    zu wichtig.

    GRAFIK: Ungleiches Paar: Prasident Chirac und Charles Aznavour,
    der Armenier, der ein bewunderter Franzose wurde.

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    From: Emil Lazarian | Ararat NewsPress
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