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dradio.de: Das deutsche Reich und der Genozid an den Armeniern

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    URL: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/3753 28/

    Das deutsche Reich und der Genozid an den Armeniern
    Wolfgang Gust (Hg.): Der Völkermord an den Armeniern 1915/16
    Vorgestellt von Andreas Baum

    Dieses Buch dokumentiert ausführlich die diplomatische Korrespondenz
    zwischen der Deutschen Reichsregierung in Berlin und ihren Botschaftern
    und Konsuln im Osmanischen Reich zwischen 1913 und 1921. Es sind die
    Jahre des Völkermordes an den Armeniern: Man schätzt, dass bis 1,5
    Millionen Menschen sterben mussten.

    Die Armenier haben über Jahrhunderte an den Grenzen der Großmächte
    Russland, Persien und des Osmanischen Reichs gesiedelt, ohne eigenen
    Staat. Bei jedem Konflikt saßen sie zwischen allen Stühlen. So auch
    im Ersten Weltkrieg: Der Vorwand für den Massenmord an den Armeniern
    Anatoliens war und ist bis heute deren angebliche Kollaboration mit
    Russland.

    Eines der Anliegen des Buches ist es zweifellos, diese Legende zu
    widerlegen. Die Armenier gehörten zu den loyalsten Völkern im
    Osmanischen Reich, die sich mit den Türken quasi symbiotisch verbunden
    fühlten. Dass es auch zu Kämpfen zwischen bewaffneten Armeniern und
    der türkischen Armee gekommen ist, kann man getrost als
    Selbstverteidigung werten.

    Darüber hinaus soll hier der Beweis geführt werden, dass die
    jungtürkische Regierung in Konstantinopel den Völkermord gezielt
    geplant hat und dass nicht, wie bisweilen bis heute behauptet wird,
    diese Menschen in den Wirren des Krieges ums Leben gekommen sind.


    Die Rolle der Deutschen

    Auf gut 100 Seiten Einführung von Wolfgang Gust, die den Ablauf des
    Genozids mit all seinen grässlichen Einzelheiten noch einmal
    dokumentiert, folgen mehr als 500 Seiten Akten aus dem politischen
    Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Das Deutsche Reich verfügte
    damals über exzellente Verbindungen zur Türkei. Dies nicht erst,
    seit man im Ersten Weltkrieg Seite an Seite kämpfte, auch vorher
    wurden gute Geschäfte mit den Osmanen gemacht.

    Berlin konnte sich also auf ein Netz von Diplomaten und Kaufleuten
    stützen, die regelmäßig über die Untaten an den Armeniern
    Bericht erstatteten. Ein großer Teil der Briefe und Noten kann man
    auch als Aufforderung, manchmal als flehentliche Bitte lesen, dem
    Bündnispartner am Bosporus in den Arm zu fallen und das Morden zu
    beenden. Ohne Erfolg: Das Zitat des Reichskanzlers, Theobald von
    Bethmann-Hollweg: "Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende
    des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber die
    Armenier zugrunde gehen oder nicht," beschreibt am treffendsten die
    Haltung der Deutschen.


    Ein Plädoyer für den unverstellten Blick auf die Fakten

    Das Buch versucht auch zu klären, welche Mitverantwortung Deutschland
    für diesen Völkermord trägt. Es entsteht ein differenziertes Bild.
    Einerseits muss man einige Deutsche, etwa die Verbindungsoffiziere im
    Türkischen Heer, wohl als Mittäter bezeichnen. Die Reichsregierung
    hat sich durch Unterlassen schuldig gemacht.

    Andererseits gibt es aber auch Deutsche, die vehement gegen das
    Verbrechen vorgegangen sind. An erster Stelle ist der Potsdamer Pfarrer
    Johannes Lepsius zu nennen, der schon seit der Jahrhundertwende ein
    Hilfswerk für die Armenier betrieb und während des Krieges bei der
    Regierung in Konstantinopel selbst versuchte, ein milderes Vorgehen
    gegen die Armenier zu erwirken.

    Aber auch die Diplomaten selbst, deren Korrespondenz hier dokumentiert
    ist, haben damit etwas für die Armenier getan. Denn heute kann anhand
    dieser Quellen einwandfrei belegt werden, welchen mörderischen
    Charakter die Deportationsbefehle hatten.

    Wichtig ist dies deshalb, weil Ankara bis heute bestreitet, dass es sich
    hier um einen geplanten Völkermord gehandelt hat. Nicht nur die
    Armenier, die heute über die ganze Welt verstreut sind, fordern, dass
    sich die moderne Türkei ihrer Vergangenheit und ihrer Verantwortung zu
    stellen hat.

    Auch unter den Europäern gibt es nicht wenige, die sagen, dass dies
    die Bedingung für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union
    ist. Dazu ist es nötig, mutig und ohne ideologische Brille auf die
    Fakten zu schauen. Dieses Buch kann dazu profunde Hilfestellung leisten.

    Wolfgang Gust (Hg.): Der Völkermord an den Armeniern 1915/16
    Zu Klampen Verlag, Springe 2005
    675 Seiten, 39,80 Euro





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