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Ohne EU keine Armenien-Debatte

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    Taz, die tageszeitung
    16. Juni 2005

    Meinung und Diskussion; S. 11

    Ohne EU keine Armenien-Debatte;
    DIE RESOLUTION DES BUNDESTAGES IST BEREITS WIEDER ÜBERHOLT

    von STEFAN REINECKE

    DIE RESOLUTION DES BUNDESTAGES IST BEREITS WIEDER ÜBERHOLT

    Es gibt viele gute Gründe für und gegen einen EU-Beitritt der Türkei.
    Das Thema Armenien, der Völkermord, der 1915 von den Jungtürken an
    der armenischen Minderheit verübt wurde, gehört zu jenen, die für
    einen EU-Beitritt sprechen. Die Fortschritte in der Türkei sind zwar
    höchst zaghaft. Aber dass das Jahrzehnte währende Sprechverbot
    aufweicht, ist ein Ergebnis des Drucks der EU. Druck ist dabei eine
    ungenaue Beschreibung: Es ist schlicht klar, dass die Türkei ohne ein
    halbwegs aufgeklärtes Verhältnis zu den eigenen Verbrechen nicht
    Mitglied der EU wird. Dass kürzlich eine wissenschaftliche
    Armenien-Konferenz in der Türkei verboten wurde, ist ein schlechtes
    Zeichen - aber kein Dementi der segensreichen Rolle der EU. Solche
    Aufklärungsprozesse verlaufen nie geradlinig, sondern stets umwegig.

    Die parteiübergreifende Armenien-Resolution, die der Bundestag heute
    verabschiedet, wirft nun ein zwiespältiges Licht auf die Lage. Zum
    einen ist diese Resolution moderat im Ton und eindeutig in der Sache
    - und damit ein Beispiel, wie man ohne moralisches Herrenreitertum
    und Besserwisserei Kritik übt. Das ist auch ein Verdienst der CDU,
    die die Debatte nicht als Munition gegen einen türkischen EU-Beitritt
    benutzt hat. Gleichzeitig scheint diese Resolution schon heute von
    gestern zu sein. Denn seit der Armenien-Debatte im Bundestag vor acht
    Wochen hat sich die Welt verändert. Das Nein zur EU-Verfassung hat
    die Erweiterungsbefürworter geschwächt. Mit Merkel und Sarkozy sind
    in den wichtigsten EU-Staaten entschiedene Gegner des türkischen
    Beitritts auf dem Weg zur Macht.

    Falls Merkel und Sarkozy den Schalter in den Verhandlungen mit der
    Türkei auf "Non" umlegen, dürfte auch die Armenien-Debatte erledigt
    sein. In der Türkei, weil man sich, nicht zu Unrecht, betrogen fühlt
    - in der EU, weil die Frage aus dem politischen Fokus verschwindet.
    Damit droht der faszinierende Prozess, wie Druck von außen und
    Selbstaufklärungskräfte im Inneren im Zusammenspiel das Bild einer
    Gesellschaft verändern, am Ende zu sein - noch bevor er richtig
    begonnen hat.

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