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    Frankfurter Allgemeine Zeitung
    28. Juli 2005

    Are we ashamed? an example of inner peace: The Turks & memory


    Wir sollen uns schämen?;
    Probe auf den inneren Frieden: Die Türken und die Erinnerung

    Aufmacher Feuilleton

    Können es die Türken nicht einfach machen wie die Deutschen? Wir
    haben doch auch unsere Lektion gelernt. Anerkennung des Völkermords
    an den Armeniern gegen Beitritt zur Europäischen Union: Auf den
    Vorschlag eines solchen Handels laufen die Signale hinaus, die jüngst
    zwischen Ankara und Berlin hin und her gingen (F.A.Z. vom 18. Mai).
    Die deutsche Gedenkstättenlandschaft hält für türkische Besucher eine
    tröstliche Botschaft bereit: Auf ein schlechtes Gewissen kann man
    mächtig stolz sein. Da steht zum Beispiel in einem Park am Bremer
    Hauptbahnhof ein Elefant aus Backstein. Errichtet wurde das gewaltige
    Denkmal 1932 zur Erinnerung an die in Afrika gefallenen deutschen
    Kolonialkrieger. Als Namibia 1990 seine Unabhängigkeit erlangte,
    widmete man das Monument zum Antikolonialdenkmal um. Die Bremer
    Kaufleute hatten einst vom Kolonialismus gelebt, also übernahmen ihre
    weltoffenen Nachfahren die Verantwortung. Zur Zeit plant die Stadt
    ein Mahnmal zur Erinnerung an den Herero-Aufstand in
    Deutsch-Südwestafrika. Dafür sollen Steine aus jener namibischen
    Wüste geholt werden, in welche die kaiserliche Schutztruppe die
    Aufständischen 1904 trieb, so daß sie an Hunger und Durst verendeten.
    Ob das Wort "Völkermord" zum Kontext des Denkmals gehören soll, steht
    noch nicht fest.

    Nur hundert Meter vom Steinelefanten entfernt, steht an einem
    sandigen Weg seit dem 24. April ein armenisches Steinkreuz. Neben dem
    mannshohen Quader mit dem fein gemeißelten Halbrelief liegen
    verdorrte Blumen und ein ausgebranntes Teelicht. Eine kleine Tafel
    trägt die Inschrift: "Zum 90. Jahrestag des Völkermords an den
    Armeniern im Osmanischen Reich gedenken wir der 1 500 000 ermordeten
    Armenier." Auf die Metallplatte hat jemand das Wort "Lüge" gekratzt,
    in eckigen Großbuchstaben und nur aus schrägem Blickwinkel zu
    erkennen.

    Mehmet Güven, in der Türkei geboren und 1972 zum Studium nach Bremen
    gekommen, betrachtet das Denkmal nachdenklich. Hat er etwa
    Verständnis für die Beschädigung der Plakette? Der Endvierziger im
    hellen Sommeranzug nickt: "Ja, das ist schon verständlich. Das Wort
    Völkermord ist eine Provokation für die Türken." Schon als das
    Denkmal in Anwesenheit von Bürgermeister Henning Scherf aufgestellt
    wurde, ging die türkische Bevölkerung auf die Barrikaden. Die
    "Stiftung Armenisches Kulturerbe", die den Stein gestiftet hat, will
    die Fluchtwege der Exilarmenier mit einer Reihe von Denkmälern
    zurückverfolgen. Der letzte Stein, so erklärt die
    Stiftungsvorsitzende Elize Bisanz, soll zum hundertsten Jahrestag
    aufgerichtet werden, wenn möglich in der Türkei. Nach den Worten von
    Frau Bisanz nehmen die Steine jene Anerkennung vorweg, welche die
    deutsche Politik noch nicht vollzogen hat - womit sie auch Prüfsteine
    seien, wie die Bevölkerung reagiere.

    In Bremen, wo die Stele nun wie ein miniaturisiertes
    Holocaust-Mahnmal in einem beschaulichen Park steht, schlug der
    demoskopische Sensor heftig aus. Rund vierzigtausend Türken leben in
    der Hansestadt, und lange Zeit sahen sie Scherf als ihren Freund an.
    "Der hat auf unseren Hochzeiten getanzt und zum Ramadan die Moscheen
    besucht", so Güven. Seit das Denkmal steht, scheint es vorbei mit
    dieser Freundschaft. Bremens Partnerstadt Izmir wollte sogar die
    Beziehungen abbrechen, beließ es dann aber bei einem Brief mit dem
    Ausdruck tiefer Betrübnis. Güven, selbst im SPD-Ortsverein
    Bremen-Nord engagiert, setzte ein Protestschreiben an den Genossen
    Scherf auf: "Ihr Verhalten verletzt uns tief in unseren Gefühlen. Ich
    kann die Frage nicht beantworten, wenn mich meine Tochter eines Tages
    fragt: Papa, warum haben wir die Armenier ermordet? Vielleicht können
    Sie die Antwort geben."

    Der Informatik-Berater Güven erfüllt keineswegs das Klischee des vom
    Nationalstolz besessenen Türken. Er kam in den Siebzigern an die
    politisierte Bremer Universität, sieht sich als Linken und kritisiert
    den von türkischen Medien angeheizten Nationalismus vieler
    Deutschtürken. Trotzdem stellt der Völkermordvorwurf für ihn - hier
    zögert er nur kurz - "eine Frage der Ehre" dar. Die Deutschen würden
    den Türken immer sagen: "Was ist an der Anerkennung so schlimm, wir
    haben auch Völkermord begangen." Doch die Sache liege anders: In der
    Türkei sei das Thema ein Tabu, jahrzehntelang totgeschwiegen. Somit
    seien weniger die juristischen Dimensionen das Problem als die
    "gefühlsmäßigen". Güven war in Istanbul mit Armeniern befreundet und
    könnte die Vorstellung, daß seine Vorfahren deren Großväter
    umgebracht haben, nur schwer ertragen: "Die Türken würden sich
    schämen vor ihren Freunden."

    In einer Schamkultur wie der türkischen folgt das Gedenken anderen
    Regeln als in einer westlichen Schuldkultur. Auf eine tiefgreifende
    Umwälzung des Geschichtsbildes, so Güven, müsse man sich "eingehend
    vorbereiten, aber nicht einseitig". Und in der Situation vor Beginn
    der Beitrittsverhandlungen fühlten sich die Türken "in die Ecke
    gedrängt", denn eine Anerkennung des Genozids, die doch nur Ergebnis
    eines Verständigungsprozesses sein könne, werde als Bedingung
    vorausgesetzt. Eine "vorbehaltlose" Diskussion könne aber nur "ohne
    Druck von Dritten" stattfinden.

    Hört man sich in der türkischen Bevölkerung von Bremen um, so findet
    man quer durch die Generationen erhitzte Gemüter. Im Vereinsheim des
    türkischen Fußballklubs KSV Vatansport, im Arbeiterstadtteil
    Gröpelingen angesiedelt, steht zwischen Mannschaftsfotos des
    einstigen Verbandsligameisters eine Atatürk-Büste. Der ehemalige
    Vereinsvorsitzende Halil Angün organisiert Protestveranstaltungen
    gegen das Denkmal und erwägt Parolen wie "Türken sind keine
    Deutschen, Armenier sind keine Juden". Über dem Tisch ziert ein
    gerahmter Erlaß des Sultans Mehmet II. aus dem Jahr 1453 die Wand, in
    welchem - so Angün - den griechischen, armenischen, jüdischen und
    bulgarischen Minderheiten gleiche Rechte eingeräumt werden. Am Ende
    zeigt Angün eine ausgedruckte Internetseite mit den elf
    "Google"-Einträgen seines Sohnes, der als Arzt in Berlin lebt.

    Im Konsul-Hackfeld-Haus in der Innenstadt haben die türkischen
    Vereine eine Ausstellung namens "Die andere Seite der Medaille -
    Hintergründe der Tragödie von 1915 in Kleinasien" aufgebaut, welche
    die Schuldzuschreibung schlichtweg umkehrt und zahllose Greuelfotos
    aneinanderreiht, die laut Bildlegende "Skelette getöteter türkischer
    Muslime" und "massakrierte Türken" zeigen. Die bizarre Schau ist, wie
    ein Plakat mit dem seltsamen Titel "Von Osmanen bis Heute -
    Armanischen Terrorismus" verrät, aus dem Generaldirektorat des
    Türkischen Staatsarchivs importiert.

    Im Vorraum trinken ein paar junge Türken Tee. "Wir werden in eine
    zweite Klasse eingestuft", empört sich ein Endzwanziger mit offenem
    Hemd und hanseatischem Akzent, "und man gibt uns noch nicht mal die
    Möglichkeit zu reagieren." Für die gemeinsame Aufarbeitung der
    Geschichte wählt er eine Pokermetapher: "Man soll sich an einen Tisch
    setzen und die Karten auf den Tisch legen: Was habe ich, was hast
    du?" Ein achtundzwanzigjähriger Wirtschaftswissenschaftler betrachtet
    die Sache nüchterner. Er habe versucht, sich einzulesen - und zwar
    "nicht aus einseitiger Perspektive", was schwer gewesen sei.
    Leugnungen wie "Es hat niemals Morde gegeben" erklärt er sich damit,
    daß es auch auf türkischer Seite an handfesten Informationen mangele.
    Trotzdem läuft die Debatte für ihn in eine falsche Richtung: "Die
    Diskussion ist nicht mehr ehrlich, wenn man Ergebnisse präsentiert
    bekommt, ohne einbezogen worden zu sein."

    Auch in Braunschweig steht seit dem 1. Mai ein armenischer
    Kreuzstein. Allerdings befindet er sich auf dem Privatgrundstück der
    evangelisch-lutherischen Brüderkirche am Rande der Fußgängerzone.
    Anders als der Bremer Senat, der seine schützende Hand über das
    Denkmal hielt, lehnte die Braunschweiger Verwaltung eine
    Unterstützung ab. Die offizielle Begründung lautet, der Stein passe
    nicht zum auf Lokalgeschichte konzentrierten "Gedenkstättenkonzept".
    Doch der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Sehrt gibt eine
    deutlichere Erklärung: "In einer Kommune kann es nicht in Ordnung
    sein, daß man hier ein Zeichen setzt, das andere provoziert."
    Letztlich bot Pfarrer Frank-Georg Gozdek dem Gedenkstein Asyl und
    ließ ihn unter wütenden Protesten der Braunschweiger Türken am Chor
    seiner Kirche aufbauen. Wenn der rauschebärtige Gottesmann, in seiner
    bärenhaften Gestalt fast ein Wiedergänger Luthers, an die
    Einweihungsfeier zurückdenkt, packt ihn heiliger Zorn: "Wir haben ein
    deutsches Osterlied gesungen, und die haben gepfiffen und gebrüllt!"

    In Gozdeks museal anmutender Pfarrstube biegen sich die Regalbretter
    unter stockfleckigen Folianten. In der Brüderkirche, so Gozdek, halte
    er den Gottesdienst "authentisch wie zu Luthers Zeiten", also ohne
    schwarzen Talar, mit dem Gesicht zum Altar und mit viel Weihrauch:
    "Dadurch steht die Gemeinde der Ostkirche sehr nahe." Offensichtlich
    gilt in diesem Pfarramt kein Bilderverbot: An der Wand hängt neben
    zahlreichen Christusbildern auch Dürers "Melancholia". Unter dem
    Stich sitzt der armenische Chirurg Kevork Kalatas, der die
    Aufstellung des Denkmals in Braunschweig vorangetrieben hat und sich
    noch lebhaft an die auf der Protestkundgebung spielenden
    Mehter-Kapellen erinnert, die einst an den Spitzen der osmanischen
    Heere marschierten. Fast erweckt die Beschreibung der Szene an der
    Braunschweiger Kirche den Eindruck, als stünden die Türken wieder vor
    Wien und nicht etwa vor dem Beitritt in die Europäische Union.

    Für Kalatas, der viele türkische Patienten hat, ist die ablehnende
    Haltung der Türken keineswegs einheitlich: Von den ebenfalls vom
    türkischen Nationalismus traumatisierten Kurden und Aleviten, aber
    auch von ausgewanderten Sozialisten und Kommunisten gebe es Zuspruch.
    Kalatas spricht von den "armenischen Leichen im türkischen Keller"
    und von der verdrängten Erinnerung. In seinem Heimatdorf sei er
    einmal von Kindern gefragt worden, ob die wenigen dort noch lebenden
    Armenier aus Kanada stammten. "Die Türken bauten ihren Staat auf
    einer Lüge", sagt Kalatas, "nämlich der Heroisierung der Jungtürken."
    Deren Anerkennung als "Gauner" sei für jeden Türken schmerzhaft.

    Nach Bremen und Braunschweig will die Stiftung Armenisches Kulturerbe
    auch in anderen deutschen Städten Kreuzsteine errichten. So entstehe,
    hier spricht Elize Bisanz als die in Lüneburg lehrende
    Kulturwissenschaftlerin, beiläufig eine "Landkarte des öffentlichen
    Raums". An den ersten Stationen hat sich schon gezeigt, daß die
    Wegmarken aus armenischem Granit den Raum nicht nur vermessen,
    sondern auch wie erinnerungspolitische Magnetsteine verändern. Eine
    durch Einschüchterung erzwungene Kirchhofsruhe wird keinen Bestand
    haben.

    ANDREAS ROSENFELDER

    Die Schuldkultur soll helfen: In Braunschweig bietet eine Kirche dem
    armenischen Gedenkstein Asyl.

    Fotos Holde Schneider

    In Bremen steht das Kreuz mit dem Segen der Stadtoberen in einem
    Park. Die Stifter sind so kühn, sich den letzten Stein ihres Parcours
    auf türkischem Boden vorzustellen.

    Wie groß ist die Furcht der deutschen Kommunalpolitik vor dem
    EU-Kandidaten? Gedenksteine in Kreuzesform, die von Armeniern
    errichtet und von Türken zerkratzt werden, sind nicht jedem
    Bürgermeister willkommen.
Working...
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