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ADK: The Journal of German-Armenian Society - 12/31/2013 (in German)

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  • ADK: The Journal of German-Armenian Society - 12/31/2013 (in German)

    PRESS RELEASE
    Editorial Office of ADK
    Contact: Dr. Raffi Kantian
    Tel: 0049-511-624733
    Mail: [email protected]
    Web: http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/
    http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/?page_id=3827
    https://www.facebook.com/deutscharmenischegesellschaft

    1. DIE KONFERENZ 'ISLAMISIERTE ARMENIER` IN ISTANBUL
    Wissenschaft trifft auf Emotionen der 'Enkelkinder`


    http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/wp-content/uploads/2014/01/ADK161-Die-Konferenz-%E2%80%9EIslamisierte-Armenier%E2%80%9C-in-Istanbul.pdf


    VON ANAHIT BALAYAN

    Seit Anfang November dieses Jahres berichten viele Medien der Republik
    Armenien in grossem Umfang ueber die erste Konferenz ihrer Art in der
    Geschichte der tuerkisch-armenischen Beziehungen. Der vorangegangene
    Versuch, eine aehnliche Thematik im Rahmen einer Konferenz anzusprechen,
    war gescheitert. Da die Organisatoren der Konferenz ` Mitglieder der
    Hrant-Dink-Stiftung ` Befuerchtungen hatten, die weit im Voraus geplante
    Veranstaltung koennte Stoerungen durch die Gegner des
    konferenzuebertitelten Themas erfahren und damit erneut scheitern, wurde
    dem mit peniblen Sicherheitschecks am Eingang des Hauptgebaeudes der
    Konferenz an der Bosporus-Universitaet entgegengewirkt. Dies war
    allerdings nicht allein der Garant dafuer, dass die Konferenz
    stattfinden konnte. Auch hat die tuerkische Gesellschaft nunmehr einen
    Reifepunkt erreicht, der die oeffentliche Eroerterung des Themas in der
    Tuerkei endlich zulaesst.
    Vor allem in den letzten Jahren 'boomt` die tuerkische Gesellschaft
    bezueglich der Nachfrage nach der eigenen Identitaet.
    Veroeffentlichungen verschiedenster Erfahrungsberichte,
    Interviewsammlungen und Romane, die Schicksale und die Gefuehle
    tuerkischer Buerger berichten im Kern ueber den Moment des Erfahrens der
    tatsaechlichen armenischen Herkunft. Diese oft emotional gefaerbten und
    doch faktischen Momentaufnahmen von Identitaetswandeln lassen mehr und
    mehr Leute darueber nachzudenken, wie ihre eigene Familiengeschichte
    tatsaechlich geartet ist. Eine steigende Anzahl von islamischen Tuerken
    findet dadurch heraus, dass deren Grossvaeter und vor allem Grossmuetter
    Armenier waren. Dies fuehrt wiederum unweigerlich dazu, dass vermehrt
    auch diejenigen, die jahrelang mit dem Wissen um ihre armenische
    Identitaet als Krypto-Armenier gelebt haben, den Mut aufbringen, offen
    genau darueber zu reden. Das ist die Situation der 'Enkelkinder` in der
    heutigen Tuerkei.
    Der groesste Schritt in Richtung des oeffentlichen Gespraechs in der
    tuerkischen Gesellschaft ueber das Thema wurde getan, als die Menschen
    als Protest gegen die Ermordung von Hrant Dink auf die Strasse gingen
    und auf ihren Plakate einhellig geschrieben stand: 'Wie sind alle
    Armenier!`. Der zweite wichtige Schritt wurde anschliessend
    wahrscheinlich durch die Veroeffentlichung die autobiographische 'Meine
    Grossmutter` von Fethiye Cetin getan. Den Uebergang von der Geschichte
    einer Person zu einer Sammlung von 25 weiteren aehnlichen Schicksalen
    leistete die darauf folgend veroeffentlichte Interviewsammlung
    'Enkelkinder`, herausgegeben von Fethiye Cetin und Ayse Guel Altinay.
    Die oben genannten Personen gestalteten mit bewegenden Reden die
    Eroeffnungszeremonie der Konferenz, wenn auch die wichtigste Person, die
    ihr Leben fuer die Kampf fuer die armenische Identitaet in der Tuerkei
    hergeben musste, leider nur durch die Worte seiner Frau Rakel Dink
    'anwesend` sein konnte. Diese Personen gehoerten zu der Gruppe der
    'aktiven` Akteure fuer die Entwicklung und Weiterbehandlung des Themas
    der armenischen Identitaet in der Tuerkei. Neben dieser ersten Gruppe
    liess sich die Konferenzgesellschaft grob in drei weitere Gruppen
    aufteilen: 'Passive` (Wissenschaftler), 'Betroffene` (Nachfahren der
    Genozidueberlebenden und der islamisierten Armenier) und 'Beobachtende`
    (Journalisten und Gaeste).
    Spannend und essentiell fuer die Konferenz war die Interrelation
    zwischen 'Aktiven`, 'Passiven` und 'Betroffenen`. Jede dieser drei
    Gruppen hatte ihre eigenen Ziele und eine klare Motivation. Hosrof
    Koeletavitoglu, der Praesident von 'Malatyahayder`, ein 'Aktiver`,
    aeusserte einen Satz, der die Ziele der 'Aktiven` bei der Organisation
    der Konferenz auf den Punkt brachte: Das Ziel ist das Erreichen der
    Zufriedenheit und des offenen Umgangs mit der eigenen Identitaet fuer
    jede Person in der Tuerkei. Dieses Vorhaben wurde groesstenteils
    tatsaechlich auch umgesetzt. Es kann behauptet werden, dass die
    Konferenz zu einer Plattform wurde fuer AEusserungen der Geschichten und
    der Emotionen der Zielgruppe, also der 'Enkelkinder`, die Vertreter
    unter den Sprechern hatten und einen grossen Teil des Auditoriums
    ausmachten. Als Folge dessen konnte ein Dialog zwischen zwei der vier
    Gruppen ` den 'Aktiven` und den 'Betroffenen` ` beobachtet werden, der
    letztlich zum Kern der Konferenz wurde.
    Mit dieser etablierten Kernkonstellation rueckte die Gruppe die
    'Passiven` mit dem Anspruch auf eine wissenschaftlich Betrachtung des
    Themas leider ein wenig in den Hintergrund; jener wissenschaftliche
    Horizont der Konferenz in seiner berechtigten Wichtigkeit blieb hinter
    den Erwartungen zurueck. Hinzu kam, dass viele der Wissenschaftler in
    ihren verbalen Beitraegen keine Analysen, sondern meistens Berichte
    ueber persoenliche Erfahrungen und Treffen mit den 'Enkelkindern`
    vorgestellt hatten, was das Wissenschaftliche an sich wiederrum auf ein
    persoenliches Niveau verortete. Nicht zu vergessen ist natuerlich der
    Punkt, dass wissenschaftlich gesehen das vergroesserte Interesse zu dem
    Thema ein ziemlich junges ist (erst seit etwa Mitte der 2000er Jahre)
    und noch in den Kinderschuhen steckt. Das bedeutet, dass viele der
    Wissenschaftler, die sich heutzutage damit auseinandersetzen, noch sehr
    wenige fertiggestellte und damit bisher meist nur unvollstaendige
    Analysen parat haben, die bei solch einer Konferenz vorgestellt haetten
    werden koennen. Eine Facharbeit zu den islamisierten Armeniern, die im
    Prozess der Vorbereitung steht, befindet sich theoretisch im Stadium des
    persoenlichen Gespraechs mit den 'Enkelkindern`. Dies fuehrt wiederrum
    dazu, dass lediglich diese persoenlichen Erfahrungen bei der Konferenz
    dargestellt wurden. Das beste Beispiel dafuer war der Vortrag der
    deutschen Wissenschaftlerin Alice von Bieberstein, die ihre Arbeit
    ebenfalls noch nicht zu einem endgueltigen Abschluss bringen konnte. In
    sich sehr stimmig und interessant waren die Beitraege von Zeynep
    Tuerkyilmaz (Researching and Conceptualizing Religious Conversion), Ayse
    Guel Altinay (The Historical and Historiographical Silence on Islamized
    Armenians and New Memory along the Axis of Ethnicity, Nation and
    Gender), Taner Akcam (Assimilation as a Structural Element in the
    Conversion of the Armenians), Vahe Tachjian (Mixed Marriage,
    Prostitution, Survival), Arda Melkonian (Gender and Survival Options
    during the Armenian Genocide) und Anoush Suni (Displacement and the
    Production of Difference), da sie dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit
    gerecht wurden.
    Trotz dieser und anderer wissenschaftlicher Vortraege hat es die
    Konferenz im Endeffekt nicht geschafft, den Status einer
    wissenschaftlichen Konferenz in vollem Umfang zu entsprechen. Daher
    wurde sie eher zu einer oeffentlichen Aussprache der Situation und zu
    einer 'Besprechung` der moeglichen Auswege und
    Entwicklungsmoeglichkeiten. Spaetestens beim Diskussionsforum am letzten
    Tag wurde jegliche Art von Wissenschaft vernachlaessigt. Die
    Manifestation der zu erlangenden Freiheit der islamisierten Armenier in
    der tuerkischen und die Anerkennung dessen in der armenischen
    Gesellschaft wurde in den Mittelpunkt gerueckt, vor allem als die
    Vertreter der Association of Dersim Armenians Miran Pirgic Gueltekin und
    der Hemshin Association for Research and Cultural Preservation Hikmet
    Akcicek zu Wort kamen. Man regte sich auf, man schrie, es wurde
    gesungen, applaudiert¦ Ein eher ungewoehnliches Ende fuer eine
    wissenschaftliche Konferenz.
    Ein fuer viele nichtbetroffene Teilnehmer der Konferenz
    unverstaendliches Detail in der Organisation war der Workshop der
    'Enkelkinder`. Dieser Workshop stellte sich als ein Treffen in
    geschlossener Gesellschaft heraus, an welchem ausschliesslich
    'Enkelkinder` teilnehmen durften, nicht aber alle anderen Teilnehmer.
    Zwei Tage lang wurde diskutiert und manifestiert, wie wichtig die
    Integration und die Akzeptanz der islamisierten Armenier ist, wie
    wichtig die Stimmen sind, die deren Geschichte erzaehlen. Doch am
    dritten Tag dieses Fauxpas: Selbstabgrenzung und Angst davor, dass eine
    fremde Person die eigene persoenliche Geschichte hoeren und
    weitererzaehlen koennte, und die Differenzierung zwischen der eigenen
    Gruppe und einer anderen, organisiert als ein offizieller Bestandteil
    der Konferenz, die betonen wollte, dass Diskriminierung zu beseitigen
    ist und die Gleichbehandlung der islamisierten Armenier als
    gleichwertige Buerger der tuerkischen Republik und als angehoerige der
    Identitaetsgruppe 'Armenier` gefoerdert werden soll.
    Eine Tatsache sollte allerdings auf keinen Fall ausser Acht gelassen
    werden: Das sensible Thema wurde zum allerersten Mal im Rahmen einer
    oeffentlichen Konferenz in der Tuerkei diskutiert. Die 'Betroffenen`
    waren zum ersten Mal bei einer grossen Veranstaltung, wo sie ihre
    Geschichten erzaehlen, anderen zuhoeren und das Gehoerte kommentieren
    konnten. Das Thema ist zudem aeusserst emotional; es ist nicht einfach,
    eine so harte Geschichte Jahre lang mit sich herumzutragen. Und
    natuerlich ist es sehr verstaendlich, dass diese Konferenz vor allem
    fuer die 'Enkelkinder` sehr viel bedeutet, und dass die Wichtigkeit der
    Bearbeitung des Themas fuer sie nicht in der Wissenschaft, sondern in
    der 'Besprechung` liegt. Die Konferenz wurde ueber und fuer islamisierte
    Armenier und deren Nachfahren organisiert. Das war das eigentliche Ziel,
    verbunden mit einer gewissen beabsichtigten Oeffentlichkeitswirksamkeit.
    In der Gruppe der 'Beobachtenden` fuehlte man sich ein wenig
    ausgegrenzt, als Wissenschaftler ein wenig unbefriedigt. Nichts desto
    trotz darf man die Wichtigkeit des Stattfindens der Konferenz nicht aus
    dem Auge verlieren. Das war ein erster, wichtiger Schritt in eine wenig
    erforschte Richtung. Aller Anfang ist schwer. Ein Anfang ist nun
    allerdings endlich gemacht worden.

    Zur Autorin: Anahit Balayan, Absolventin des Masterstudienganges
    'Religion und Kultur` an der Humboldt Universitaet zu Berlin, schrieb
    ihre Masterarbeit ueber die Identitaetsfragen der Krypto-Armenier und
    deren Nachfahren in der Tuerkei, was den Anfang ihrer Forschung auf
    Gebiet ist. Gegenwaertig befindet sie sich in den Vorbereitungen zu
    ihrer Promotion hinsichtlich der armenischen Identitaet unter
    Immigrantenfamilien aus der Tuerkei in Deutschland und weiteren
    Veroeffentlichungen.




    2. UEBER DAS UNSAGBARE SCHREIBEN FUER FRIEDEN UND DIALOG

    http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/wp-content/uploads/2014/01/ADK161-%C3%9Cber-das-Unsagbare-schreiben-f%C3%BCr-Frieden-und-Dialog.pdf

    VON SONGUEL KAYA-KARADAG

    Die Tagung 'Ueber das Unsagbare schreiben ` Prosa ueber Voelkermord`,
    eine gemeinsame Veranstaltung der Evangelischen Akademie Berlin, der
    Arbeitsgruppe Anerkennung ` Gegen Genozid, fuer Voelkerverstaendigung e.
    V. (AGA) und der Deutsch-Armenischen Gesellschaft e. V. (DAG) fand vom
    11.-13. Oktober in Berlin-Schwanenwerder statt.
    Gegenstand der Tagung waren Voelkermorde in diversen Laendern, die
    Eingang in die Literatur gefunden haben. Die Veranstaltung, zu der
    Literaturwissenschaftler, Autoren und Dichter als Referenten eingeladen
    worden waren, beeindruckte durch die Kompetenz, Fundus und Erfahrung der
    letztgenannten. Folglich gingen sowohl die literarischen wie auch
    literaturwissenschaftlichen Auftritte mit einem produktiven und
    intensiven Gedankenaustausch zu Ende. Tessa Hofmann, die sich bei der
    Ausarbeitung des Konzepts besonders hervorgetan hatte, gab in ihrem
    abschliessenden Statement bekannt, dass die Beitraege in Buchform
    erscheinen werden. Raffi Kantian von der DAG, der bei dieser
    Veranstaltung ebenfalls eine aktive Rolle uebernommen hatte, wies darauf
    hin, dass es notwendig sei, Genozide, die bislang eher bei politischen
    Veranstaltungen thematisiert wurden, auch so bewertet werden muessten,
    wie sie Eingang in literarische Texte gefunden haben. Er unterstrich,
    dass eine solche Herangehensweise besonders bei Voelkermorden das
    Menschenbild durch die Dichotomie Opfer-Taeter in den Vordergrund
    ruecken wuerde.

    Die Referate

    Am ersten Tag thematisierte Dr. Michaela Prinzinger ausgehend von Elias
    Venezis' autobiografischen Roman 'Nummer 31328' ` darin werden seine
    Erlebnisse als Gefangener der Tuerken im Jahre 1922 geschildert ` die
    Deportationspolitik gegen die Griechen in Westanatolien. Venezis
    schildert als Ich-Erzaehler von menschlichem Leid und menschlichen
    Beziehungen, von Frauen und Muettern, die Widersprueche zwischen den
    Herrschenden und dem einfachem Volk emotional und subjektiv. Die
    mehrheitlich auf Beobachtungen und Reflexionen basierenden Bewertungen
    fuehren zwei extreme Rollen, naemlich die des Soldaten und der von
    diesen kontrollierten Kriegsgefangenen, vor Augen. Darueber hinaus
    wurden in den Naturbeschreibungen Orte und die Identitaet derer, die ihr
    Zuhause verlassen mussten, ebenfalls subjektiv dargestellt. Dr. Michaela
    Prinzinger bereicherte ihre Darstellung mit Filmausschnitten und
    visualisierte so bestimmte Abschnitte des Buches. Bei diesem ersten
    Referat fiel auf, dass die Protagonisten, die Opfer einer Vertreibung
    wurden, trotz des seelischen Zusammenbruch sich bemuehten am Leben zu
    bleiben. Dass man dieses Bemuehen trotz der Darstellung im Buch nicht
    verallgemeinern koenne, betonte Michaela Prinzinger und fuegte hinzu,
    dass dies dem subjektiven Blick des Erzaehlers geschuldet sei. Dass die
    Erzaehlung in der Morgendaemmerung zu Ende geht, interpretierte sie als
    'Hoffnung`.
    Prof. Dr. Magdalena Marszalek von der Universitaet Potsdam ging anhand
    der Buecher von zwei polnischen Autoren auf die Schoah ein. In Zofia
    NaÅ?kowskas 'Medaliony` ('Medaillons`) aus dem Jahre 1946 wird im
    Gegensatz zu Elias Venezis der Voelkermord aus dem Blickwinkel eines
    Aussenstehenden geschildert und das Erlebte ohne den Gefuehlen Platz zu
    lassen trocken geschildert, als wollte man nur dokumentieren. Magdalena
    Marszalek wies darauf hin, dass die Autorin diese Herangehensweise
    deswegen gewaehlt habe, um den Leser staerker zu beeindrucken. Sie wies
    anhand der Ausschnitte, die sie aus dem Buch vortrug, darauf hin, dass
    im Buch zwei Typen von Menschen dargestellt werden. Zum einen die Opfer
    (das sind die Juden, die in ein KZ gebracht werden) und die anderen,
    naemlich jene, die die Opfer von aussen betrachten und ihnen nicht
    helfen (die oertliche polnische Bevoelkerung). Der sproede Stil, die die
    Erzaehlung dominiert, koenne als Kritik an jenen Polen interpretiert
    werden, die bei der Schoah geschwiegen haben, so die Referentin. Tadeusz
    Borowskis Erzaehlband 'Kamienny Å?wiat` ('Die steinerne Welt`) sei
    nihilistisch. Und wenn auch der Ich-Erzaehler denselben Namen trage wie
    der Autor, so sei das Buch nicht autobiografisch (Borowski war der Reihe
    nach in den KZs Auschwitz-Birkenau, Natzweiler-Dautmergen (bei Balingen)
    und Dachau). 1948, ganze drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg
    erschienen, sind die Protagonisten zweigeteilt: jene, die Juden sind,
    und jene, die keine Juden sind. Auch hier wird mit dem Blick von
    draussen das Erlebte bewertet und gezeigt, wie der Mensch sich von
    seinen Werten entfernt. Uebrigens: Prof. Marszalek wies darauf hin, dass
    im Zofia NaÅ?kowskas 1927 erschienenen Erzaehlband 'Choucas` viele
    Ueberlebende des Voelkermords an den Armeniern zu Wort kommen.
    Der Voelkermord an den Armeniern des Jahres 1915 war das Thema von Dr.
    Bernhard Malkmus' Ausfuehrungen. Er lehrt an der Ohio State University.
    Bei der vergleichenden Betrachtung von Franz Werfels 'Die 40 Tage des
    Musa Dagh` und Edgar Hilsenraths 'Das Maerchen vom letzten Gedanken`
    ging es vor allem um die Erzaehltechnik. Waehrend bei Werfel ein
    allwissender Autor die historischen und politischen Aspekte des
    Voelkermords an den Armeniern im Blickfeld hat, geht es nach Ansicht des
    Referenten beim 'Maerchen vom letzten Gedanken` vorrangig um das
    reflexive Moment. In diesem zweiten Buch, in das die orientalische
    Erzaehltechnik in Gestalt von Meddah Eingang gefunden hat, sehen wir
    auch Dialoge, die die Erzaehltechnik bereichern. Inhaltlich werden in
    beiden Buechern die kollektiven AEngste und Sorgen der Armenier, die
    1915 Opfer eines Voelkermordes wurden, und ihre uebermenschlichen
    Bemuehungen, am Leben zu bleiben, vor Augen gefuehrt.

    Die Lesungen

    Der Literaturwissenschaftler, Lyriker und Autor Peter Balakian aus New
    York und Fethiye Cetin, die Rechtsanwaeltin im Mordfall Hrant Dink und
    Autorin, waren eingeladen worden, um aus ihren Buechern vorzutragen und
    die Fragen der Anwesenden zu beantworten. Beide sind Vertreter der
    dritten Generation nach dem Voelkermord an den Armeniern von 1915. Trotz
    ihren unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Voelkermord, waren die
    Parallelen bemerkenswert. In ihren Buechern tauchen die jeweiligen
    Grossmuetter auf und sie, die Zeugen von Mord und Vertreibung wurden,
    hatten die Gelegenheit, dieses Wissen endlich der spaeteren Generation
    weiterzugeben. Peter Balakian hatte in seinem Buch 'Die Hunde vom
    Ararat` (englischer Originaltitel 'Black Dog of Fate`) aus der
    Perspektive eines in der US-amerikanischen Diaspora lebenden Jungen und
    jungen Erwachsenen all die Dinge aufgeschrieben, die er bis dahin nicht
    wusste, darunter auch vieles, was der tuerkische Staat bis heute
    leugnet. Seine Grossmutter war eine seiner Gewaehrspersonen. Auch wenn
    es sich um ein Erinnerungsbuch handelt, benutzt Balakian als
    Erzaehltechnik Romanmotive und bevorzugt eine lyrische Sprache.
    Fethiye Cetin, Autorin von 'Meine Grossmutter` ('Anneannem`), hatte zu
    Beginn ihrer Ausfuehrungen festgestellt, dass sie eigentlich keine
    Schriftstellerin sei, aber um das, was sie von ihrer Grossmutter
    erfahren habe, anderen mitzuteilen, gezwungen gewesen sei, dieses Buch
    zu schreiben. Bekanntlich entfaltete es in der Tuerkei eine sehr grosse
    Wirkung. Nicht nur jene Armenier, die gezwungen waren den Islam
    anzunehmen, sondern auch all jene, die ihrer Herkunft nicht sicher
    waren, begaben sich nach der Lektuere des Buches auf Spurensuche. Die
    Autorin begegnet uns als Ich-Erzaehlerin und schildert in knapp
    gehaltenen Passagen Erinnerungen. Literarische Aspekte stehen nicht im
    Vordergrund, vielmehr geht es darum, den Leser zu informieren. Fethiye
    Cetin begegnet uns unmittelbar als Autorin. Dieser Aspekt sorgt dafuer,
    dass das Buch in hohem Masse realistisch und ueberzeugend wirkt. Ein
    weiterer Aspekt sorgt fuer die Steigerung der Erzaehlqualitaet: Die
    Verfasserin schildert - waehrend sie schreibt - ihre inneren
    Widersprueche und stellt sie unverstellt dar.
    Auch wenn die beiden Autoren keine gemeinsame Sprache hatten, war die
    Kommunikation zwischen ihnen beiden ein Beleg dafuer, dass von
    gemeinsamen Schmerzen eine einigende Kraft ausgeht. Peter Balakian lebt
    in der Diaspora mit seiner armenischen Identitaet, waehrend Fethiye
    Cetin ein Enkelkind ist, das zwar in der angestammten Heimat lebt,
    jedoch lange Zeit nichts von seinen armenischen Wurzeln wusste. Erst als
    erwachsener Mensch erfuhr sie davon und das von ihrer Grossmutter. In
    dieser Hinsicht kann man bei beiden Lesungen sowohl Gemeinsamkeiten als
    auch Unterschiede feststellen.

    Workshops

    In drei Workshops wurde intensiv ueber die Wirkung des Voelkermords auf
    literarische Texte diskutiert. Einer davon wurde von Raffi Kantian
    geleitet und trug den Titel 'Wie reden? Wie schweigen? ` Armenische
    Autoren zu 1915`. Dabei wurden Texte von Vahan Tekeyan, Zahrad,
    Howhannes Grigoryan, Artem Harutyunyan, Schahan Schahnur und Raffi
    Kebabdjian vorgetragen. Die Teilnehmer gingen in ihren
    Diskussionsbeitraegen auf die historischen Bezuege in den Texten und die
    Sichtweise der Autoren ein.
    Dogan Akhanli, der mit seinem Roman 'Die Richter des Juengsten Gerichts`
    den Voelkermord an den Armeniern thematisierte, leitete den zweiten
    Workshop. Dabei ging es darum, wie man bei literarischen Texten sich
    sachlich dem Problem naehern kann. Der Autor, der in den vergangenen
    Monaten mit seinem Theaterstueck 'Annes Schweigen` auffiel, geht in
    seinen Gedanken auf Identitaet, Ueberleben, schweigen um zu ueberleben
    ein. Im dritten Workshop thematisierte man die Massaker der Jahre
    1937/38 an den alevitischen Kurden von Dersim. Wilfried Eggers, der sich
    detailliert mit diesem Thema befasst hat, leitete diesen Workshop und
    informierte die Teilnehmer ueber seine Rechercheergebnisse.

    Podiumsdiskussion

    Am letzten Tag der Veranstaltung fand eine von Raffi Kantian moderierte
    Podiumsdiskussion statt, an der Fethiye Cetin, Peter Balakian und Dogan
    Akhanli teilnahmen. Zu Beginn stellte Raffi Kantian kurz Serdar Cans
    'Die Maerchen mit meiner Grossmutter` aus dem Jahre 1991 vor `
    vermutlich das erste tuerkische Buch, das 1915 wenn auch in leicht
    verklausulierter Form, aber ueberaus deutlich schildert - vor und fragte
    die Podiumsteilnehmer, warum sie ueber den Voelkermord an den Armeniern
    schreiben wollten. Auch wenn die Autoren bedingt durch ihr persoenliches
    Schicksal unterschiedliche Antworten gaben, einigten sie sich alle in
    dem einen Punkt, dass sie als Mensch die Notwendigkeit spuerten,
    darueber zu schreiben. Ihrer Ansicht nach gab es einerseits jene, die
    aus Angst schwiegen, andererseits jedoch eine staatliche, weltweit
    betriebene Leugnungspolitik. Es war ein bedeutsames Zeichen, dass jene,
    die Zeuge des Voelkermords wurden, den Voelkermord auf ihrer Haut
    spuerten, diese Schmerzen noch zu Lebzeiten mit anderen teilten. Diese
    historische Wahrheit musste - wenn auch ueber die Literatur - den
    Menschen mitgeteilt werden. Folglich war fuer alle drei Autoren der
    Voelkermord nicht nur Thema fuer ein Buch, sondern Gegenstand fuer
    Studien und Arbeiten. So lehrt Peter Balakian an einer Universitaet der
    USA u.a. 'Genocide Studies`, Fethiye Cetin unterstuetzt als
    Rechtsanwaeltin unterschiedliche Gruppierungen in der Tuerkei. Und
    schliesslich Dogan Akhanli, der letztendlich wegen seines Engagements in
    Sachen 1915 nicht mehr in die Tuerkei fahren kann und gegen ihn immer
    noch ein Kafkaesker Prozess gefuehrt wird.
    Eine junge Teilnehmerin fragte: 'Ist es nicht moeglich, all das Erlebte
    zu vergessen? Warum akzeptieren wir nicht eine historische Begebenheit
    so, wie sie sich abgespielt hat, und lassen sie dort, eben in der
    Geschichte?`. Peter Balakian antwortete darauf so: 'Hitler hat vor dem
    Ueberfall auf Polen gesagt: ?Wer redet denn heute noch von der
    Vernichtung der Armenier?`. Damit Massaker dieser Art sich nicht
    wiederholen, muessen wir darueber reden, aus ihnen Lehren ziehen. Das
    ist wichtig. Sonst werden wir so etwas wieder erleben.` Fethiye Cetin
    vertrat die Ansicht, dass zur Befreiung von den Traumata man darueber
    sprechen muesse.

    Film ` Musik ` Lyrik

    Zusaetzlich zu den Referaten, den Lesungen und den Workshops gab es am
    Samstagabend ein Konzert und eine Lesung. Nelly Schmalenberg, Klavier,
    und Pavlos Tsavdaridis, pontische Lyra, boten armenische und griechische
    Musik dar. Peter Balakian trug eines seiner Gedichte vor. Susanne
    Boehringer und Bea Ehlers Kerbekian bereicherten den Abend mit
    Rezitationen armenischer Gedichte.
    Ein Dokumentarfilm, der die Restaurierung der Brunnen im Heimatdorf von
    Fethiye Cetins Grossmutter Heranus zeigte, rundete den Abend ab.

    Aus dem Tuerkischen von RAFFI KANTIAN

    Zur Person: Songuel Kaya-Karadag, Jg. 1972, wurde in Gaziantep geboren.
    Studierte tuerkische Sprache und Literatur in Malatya. Wegen angeblicher
    politischer Betaetigung wurde sie schon als Schuelerin wiederholt
    verfolgt und zuletzt zu einer Haftstrafe verurteilt, der sie sich durch
    Flucht entzog. Seit 1996 in Deutschland, wo ihrem Asylantrag
    stattgegeben wurde. Sie schreibt fuer die Zeitung Evrensel, seit einiger
    Zeit auch fuer die ADK. 2009 absolvierte sie ihr Studium der Geschichte
    und Turkistik an der Universitaet Duisburg-Essen. Seit 2010
    Koordinatorin an der AWO Koeln und zusaetzlich wissenschaftliche
    Mitarbeiterin am Projekt 'Muelheim 2020`.




    From: A. Papazian
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