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Die Bruder Taviani Haben Die Armenische Tragodie Verfilmt

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    DIE BRUDER TAVIANI HABEN DIE ARMENISCHE TRAGODIE VERFILMT
    Christiane Schlotzer

    Suddeutsche Zeitung,
    14. Februar 2007

    Diesen Film wird die Turkei nicht mogen. Vittorio Taviani sagt, er habe
    die armenische Tragodie vor drei Jahren "eher zufallig" entdeckt. Dich
    ein unerwarteter Schrecken trifft mit besonderer Wucht. Dies lassen
    die Bruder Paolo und Vittorio Taviani in "Das Haus der Lerchen"
    spuren. Der Film wird morgen auf der Berlinale uraufgefuhrt. Und es
    ist gewiss, dass es turkische Proteste geben wird, spatestens dann,
    wenn die stets kampagnenbereiten turkischen Nationalisten dieses
    Taviani-Epos entdeckt haben. Denn darin wird gekopft, gemartert, aber
    auch geliebt. Und so manche Rolle ist in sich verkehrt: Der turkische
    Soldat Youssuf will die Armenierin Nunik retten, und totet sie. Der
    junge Turke wird von einem Deutschen gespielt, von Moritz Bleibtreu.

    Es war der deutsche Bundnispartner, der im Ersten Weltkrieg einst
    die Augen zudruckte. Von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg
    ist das Zitat uberliefert: "Unser einziges Ziel ist es, die Turkei
    bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgultig,
    ob daruber Armenier zu Grunde gehen oder nicht". Nachzulesen ist das
    in einem 670-Seiten-Band mit Dokumenten aus dem Politischen Archiv
    des deutschen Auswartigen Dienstes, veroffentlicht 2005 - 90 Jahre
    nach den Massenmorden. Denn es gab ein europaisches Mitwissen und
    damit auch ein Stuck Mitverantwortung fur das Morden. Hrant Dink,
    der im Januar in Istanbul ermordete armenisch-turkische Journalist
    hat davon gesprochen, wenn er davor warnte, die heutige Turkei nur an
    den Pranger zu stellen und ihr keinen Weg nach Europa zu offnen. Aber
    das wollte kaum einer horen.

    Denn die offizielle Turkei macht es all jenen, die glauben, ihre
    Vergangenheit schon bewaltigt zu haben, leicht, auf sie herabzusehen.

    Die Vernichtung und Vertreibung der osmanischen Armeniern ist ein
    kollektives turkisches Trauma, das an emotionaler Wucht gerade deshalb
    nicht verliert, weil es von staatlich geforderter Verdrangung genahrt
    wird. Die Verdrangung ist Staatsdoktrin, und diese Doktrin gestattet
    es nicht, dass jenes dunkle Kapitel von anderen erzahlt wird, egal
    ob in Filmen oder Buchern.

    An den eigenen Schulen und Universitaten wird die Historie so
    gelehrt, als gelte es, eine alte Dolchstoßlegende nicht sterben zu
    lassen. Danach waren die Armenier Verrater, verantwortlich fur das
    turkische "Stalingrad". Bei Sarikamis erlebte das osmanische Heer
    unter Enver Pascha im Januar 1915 in einer Schlacht gegen russische
    Truppen ein Fiasko, mit 100 000 Toten. Kriegsminister Enver hatte
    seine Soldaten mit Sommerschuhen und Fußlappen auf die Berge gehetzt.

    Fur die Niederlage suchte er einen Sundenbock und fand dafur die
    Armenier, weil einige von ihnen mit Moskau sympathisierten. Enver
    sprach von einer "Gefahr", die nur beseitigt werde, wenn man sie
    "nimmt und an andere Orte schickt".

    Die Deportationen und die Massenmorde begannen im April des selben
    Jahres. Dies war der Anfang der Turkisierung der Turkei, und dieser
    Wahn verschonte auch Aramaer und pontische Griechen nicht. Wenn sich
    heute Polizisten mit dem Morder von Hrant Dink ablichten lassen und
    die Aufnahmen gar noch verbreiten, dann wissen sie auch um die Wucht
    solcher Bilder. Sie setzen sie gegen die hunderttausend Menschen im
    Trauerzug fur Dink, von denen viele Schilder mit der Aufschrift, "wir
    sind alle Armenier" oder "wir sind alle Hrant Dink" hochhielten. Der
    staatliche verordnete Nationalismus ist nicht mehr ohne weiteres
    konsensfahig in der Turkei, und die Frage, wie das Land mit seiner
    Vergangenheit umgeht, wird zur Trennlinie.

    Paolo Taviani glaubt, dass "Das Haus der Lerchen" schon in einigen
    Jahren an turkischen Schulen gezeigt werden wird. Das ist sehr
    optimistisch. Und der britische Historiker Donald Bloxham, Autor
    des Standardwerks "The Great Game of Genocide" warnt, man konne sich
    in der Abbildung des Horrors "auch verlieren". Er empfiehlt bei dem
    Thema mehr Analyse als Emotion. Das ist erst mal nicht zu erwarten.

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