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Heikles Ministertreffen drei Tage vor Perincek-Prozess [in German]

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  • Heikles Ministertreffen drei Tage vor Perincek-Prozess [in German]

    4. März 2007, NZZ am Sonntag

    Heikles Ministertreffen drei Tage vor Perincek-Prozess
    Blochers Treffen mit türkischem Minister löst Irritationen aus

    Bundesrat Blocher hat am Freitag und Samstag den türkischen
    Justizminister getroffen - just bevor in Lausanne der Prozess gegen den
    türkischen Politiker Dogu Perincek beginnt.

    Heidi Gmür

    Das Treffen wurde vorerst geheim gehalten. Am Freitag bestätigte die
    türkische Botschaft in Bern auf Anfrage, dass sich der türkische
    Justizminister Cemil Cicek derzeit in der Schweiz aufhalte und
    Gespräche mit Justizminister Christoph Blocher stattfänden. Über
    deren Inhalt war nichts zu erfahren. Am Samstag informierte nun auch das
    Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Das
    «Arbeitsgespräch» stand laut Communiqué «im Zeichen der
    Verbesserung und Konsolidierung der bilateralen Beziehungen» und ist
    «als erfolgreicher Schritt für die Gestaltung der Beziehungen
    zwischen den beiden Staaten zu betrachten».

    Interessant ist der Zeitpunkt des Treffens. Am Dienstag beginnt in
    Lausanne der Prozess gegen Dogu Perincek, Chef der
    linksnationalistischen türkischen Arbeiterpartei. Ein Prozess, der in
    der Türkei für grossen Unmut und für nachhaltige diplomatische
    Irritationen sorgt. Perincek muss sich wegen Verletzung der
    Antirassismus-Strafnorm verantworten. Er ist angeklagt, den Völkermord
    der Türken an den Armeniern im Jahr 1915 öffentlich geleugnet zu
    haben. Die Türkei, die den Genozid nicht anerkennt, hat von der
    Schweiz bereits mehrfach die Einstellung der Verfahren gegen Perincek
    wie auch gegen den türkischen Historiker Yusuf Halacoglu gefordert.
    Die Schweiz ihrerseits hat jeweils auf die strikte Gewaltentrennung
    hingewiesen und war zu keinerlei Konzessionen bereit. Erst Blocher hatte
    diese Position aufgeweicht und in der Schweiz für einen Eklat gesorgt,
    als er im letzten Herbst bei seinem Besuch in Ankara dem türkischen
    Justizminister Cicek gestand, dass auch ihm die Antirassismus-Strafnorm
    «Bauchweh» bereite. Seither wird die Strafnorm, vorab der Passus zur
    Völkermord-Leugnung, im Bundesamt für Justiz überprüft.

    Das Treffen der beiden Justizminister drei Tage vor einem Prozess, der
    im Falle einer Verurteilung Perinceks zu neuerlichen diplomatischen
    Spannungen zwischen den beiden Staaten führen dürfte, löst daher
    Irritationen aus.

    «Heikel», meint FDP-Nationalrätin Christa Markwalder. Von einem
    «subtilen Druckversuch Blochers» spricht SP-Generalsekretär Thomas
    Christen: «Blocher verkündet eine Verbesserung der Beziehungen zur
    Türkei - im Wissen darum, dass sich diese sofort wieder verschlechtern
    würden, sollte der Richter Perincek verurteilen.»

    Die Gesellschaft Schweiz-Armenien ist «zumindest erstaunt, dass die
    offizielle Schweiz einen solchen Arbeitsbesuch seitens des türkischen
    Justizministers und Regierungssprechers Cicek im Vorfeld eines solch
    heiklen Prozesses als opportun betrachtet hat», sagt deren
    Ko-Präsident Sarkis Shahinian. Vor allem wenn man wisse, dass die
    türkische Regierung, die die Leugnung des Genozids aktiv betreibe,
    alle möglichen Mittel verwende, um auf andere Länder Druck
    auszuüben. «Ausserdem», so Shahinian, «hätte der Besuch ja
    problemlos auch einen Monat später stattfinden können.»

    Ähnlich tönt es in der Bundesverwaltung. «Der Zeitpunkt ist
    bizarr», sagt ein Spitzenbeamter in einem bürgerlichen Departement.
    Einmal mehr bewege sich Blocher auf einer Gratwanderung bezüglich der
    Gewaltenteilung. Ein anderer, mit den diplomatischen Gepflogenheiten
    vertrauter hoher Beamter erklärt, «das Interesse Ciceks,
    ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt in die Schweiz zu reisen, liegt auf
    der Hand». Dass das EJPD bei der Prüfung des Termins daher nicht zum
    Schluss gekommen sei, dass es möglicherweise eher ungünstig sein
    könnte, das Treffen gerade jetzt abzuhalten, stösst auch bei ihm auf
    Unverständnis. Einig ist man sich: Der Zeitpunkt ist kein Zufall.

    Dem widerspricht hingegen Christoph Blochers Sprecher Livio Zanolari.
    Das Treffen habe mit dem bevorstehenden Prozess «nichts zu tun».
    Dieser sei auch nicht Thema der offiziellen Gespräche gewesen, an
    denen vielmehr über die Integration junger Türken und Massnahmen
    gegen den Terrorismus diskutiert worden sei. Was man unter vier Augen
    besprochen habe, das wisse er indes nicht. Thematisiert hat Blocher in
    jedem Fall die Antirassismus-Strafnorm. Zanolari: «Blocher hat Cicek
    am Rande über das grosse Echo in der Schweiz auf seinen Besuch in
    Ankara orientiert und ihm gesagt, dass das Bundesamt für Justiz
    derzeit daran sei, die Strafnorm zu überprüfen.»
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