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The Hidden Armenians Of Diyarbekir [In German]

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    THE HIDDEN ARMENIANS OF DIYARBEKIR [IN GERMAN]

    ZEIT ONLINE, Deutschland
    9 August 2013

    Die fehlenden Armenier von Diyarbakir

    Die Glocken der christlichen Kirche in Diyarbakir läuten seit Kurzem
    wieder. Die Stadt im Sudosten Anatoliens versucht die Versöhnung
    mit den Armeniern. Von Mely Kiyak

    Mein vorerst letzter Text, den ich aus Diyarbakir im Sudosten
    Anatoliens sende, soll der vielleicht gröÃ~_ten Wunde der Stadt
    gelten.

    Die Geschichte Diyarbakirs ist die einer Amputation. So wie ein Mensch
    Arme und Beine hat, so selbstverständlich waren die Christen Teil der
    Stadt. Diyarbakir verlor sein politisches Gleichgewicht nicht erst mit
    dem Krieg gegen die Kurden ab 1980, auch nicht mit der Auslöschung
    der Armenier 1915, sondern bereits am 2. November 1895.

    Der französische Konsul von Diyarbakir beschrieb in einem Brief
    an seinen Botschafter, was in jener Nacht geschah: Ein drei Tage
    andauerndes Blutbad, das der Sultan des Osmanischen Reichs, Abdulhamid
    II., befohlen hatte, das "Hamidische Massaker". "Hawar! Hawar! -
    Hilfe! Hilfe schrie die christliche Bevölkerung auf Kurdisch. Die
    Stadt wird mit Feuer und Schwert verwustet", schreibt der Konsul.

    Seine Bilanz: "30.000 Tote und Vermisste, 119 in Schutt und Asche
    gelegte Dörfer".

    Da man im Osmanischen Reich statistikvernarrt war, sind die Toten
    nach Religionszugehörigkeit und Ethnie erfasst. Dabei wurde penibel
    zwischen Protestanten, Katholiken, Chaldäern, Griechen und anderen
    christlichen Bevölkerungsgruppen unterschieden. In Diyarbakir starben
    während dieses groÃ~_en Brandes mehr als 1.000 Armenier. Tausende
    Läden und Privathäuser von Christen wurden geplundert.

    Diese Nacht war, so lerne ich vom Schriftsteller und Diyarbakirer
    Stadtforscher Å~^eyhmus Diken, die Generalprobe fur das, was 1915
    geschah. Seit diesem ersten Gespräch mit Diken habe ich erneut
    angefangen, uber die Auslöschung der armenischen Turken zu forschen.

    Aber anders als bisher. In nahezu jeder turkischen Stadt suche ich
    nach Spuren, weil ich das groÃ~_e Unfassbare nur im kleinen Konkreten
    begreifen kann. Vor Ort. Wo lebten diese Menschen? Was arbeiteten sie?

    Erst auf dieser Reise begreife ich, dass der Begriff "Völkermord an
    den Armeniern" nicht korrekt ist. Von der Katastrophe waren nicht nur
    Armenier betroffen, sondern auch Aramäer und Chaldäer. Uberhaupt
    sollte man, da sich 2015 der Völkermord zum 100. Mal jährt, damit
    beginnen, genauer zu werden. Viele turkisch, kurdisch und armenisch
    sprechenden Autorenkollegen aus der Turkei haben zum Thema der
    religiösen Minderheiten hervorragende Bucher geschrieben und ich
    frage mich, wie es sein kann, dass es in keinem einzigen deutschen
    Verlag eine Ubersetzung dieser Werke gibt.

    Ich habe meine Bibliothek zu dem Thema nicht in Istanbul erweitert,
    sondern in den Buchhandlungen kleiner, linker Kooperativen und
    Kirchenbuchhandlungen im Osten der Turkei. Auf politischer Ebene
    ist das Thema brisant und bleibt weitgehend unangetastet. Die
    Kulturschaffenden vor Ort aber lassen sich nicht einschuchtern. Es
    gibt eine Vielzahl an Buchern, die das Leben der Armenier in vielen
    Facetten beleuchten.

    Viele Menschen in Diyarbakir begreifen langsam, dass ihrer Stadt die
    ursprunglichen Einwohner fehlen. Schaut man sich die alten Postkarten
    an, die Kapuzinermönche und Franziskaner von Diyarbakir anfertigten,
    dann sieht man die hohen Kirchturme der Surp Giragos und Surp Sarkis
    Kirche, die Kuppel der kleinen aramäischen Kirche Meryem, Klöster -
    ein Panorama der verschiedenen Kulturen.

    Die Glocken der Kirchen läuten parallel zum Gesang des Muezzin

    Ich stehe in der prächtig restaurierten Surp Giragos Kirche und
    schwatze mit dem armenischen Kapici, der die Pforte der Kirche
    bewacht. Er erzählt, dass er mit einer Sunnitin verheiratet ist,
    die ihm morgens das Fruhstuck zubereitet, während sie wegen des
    Ramadan fastet. Als ich empört tue und ihn einen herzlosen Mann
    nenne, der vor den Augen seiner hungrigen Frau schlemmt, lacht er
    sich kaputt. Alles ganz easy.

    1916 schlug man der Kirche den Turm ab, damit sie nicht mehr das
    höchste Gebäude der Stadt ist. Ich freue mich, dass seit zwei
    Monaten die Glocken wieder täglich läuten, wie ubrigens uberall
    in der Turkei die Glocken der christlichen Gotteshäuser läuten,
    manchmal parallel zum Gesang des Muezzin. Und bin dann doch traurig,
    weil die einst gröÃ~_te armenische Kirche des Nahen Ostens nur noch
    60 Gemeindemitglieder zählt. 20 Familien sind ubrig geblieben. Das
    Gleiche gilt fur die Chaldäer. 50 Glaubensgeschwister haben uberlebt,
    bis vor Kurzem legten die beiden Gemeinschaften ihre Gottesdienste
    noch zusammen.

    Osman Baydemir, Mitglied der Kurdenpartei BDP, stellte in einer viel
    beachteten Rede im vergangenen Jahr Folgendes klar: "Ein Armenier,
    ein Aramäer und ein Chaldäer, dessen GroÃ~_- oder UrgroÃ~_vater
    in Diyarbakir geboren wurde, hat ebenso ein Recht hier zu leben,
    wie ich es habe.

    Das sage ich als ein in Diyarbakir geborener Kurde. Ich möchte
    gerne alle ethnischen Gruppen, deren Vorfahren in Diyarbakir lebten,
    einladen: Kommt zuruck in eure Stadt!"

    Ein einziger Armenier ist diesem Aufruf gefolgt: der Udspieler Yervant
    Bostanci. Å~^eyhmus Diken hat dessen Geschichte aufgeschrieben. Er
    findet es wichtig, dass er selbst kein Armenier ist, sondern
    sunnitischer Kurde. "Es ist wichtig, dass einer wie ich sich fur
    die armenischen Mitburger einsetzt. So bedauerlich es klingt, aber
    das Anliegen wird dadurch ernster genommen, als wenn ein armenischer
    Bruder es vorgetragen hätte", sagt Diken.

    "Ich sage meinen Kindern immer, dass sie ja nicht auf die Idee
    kommen sollen, irgendetwas unter den Teppich zu kehren. Eines Tages
    wird sauber gemacht, der Teppich angehoben und dann kommen alle
    Ungeheuerlichkeiten zum Vorschein." Man könne das Heute nicht
    aufarbeiten, wenn man das Gestern vergessen machen will, sagt Diken.

    Die Aufarbeitung des Völkermords 1915 sei Bedingung und Vorbereitung
    fur die Aufarbeitung des Krieges gegen die Kurden.

    Wenn man verstehen will, weshalb Armenier in der Diaspora nicht in
    ihre Heimatstädte im Osten der Turkei zuruckkehren wollen, muss man
    wissen, was 1915 geschah.

    Am 12. August 1915 bekam der Gouverneur der Provinz Diyarbakir,
    Vali Dr. Mehmed Reschid Bey, den Befehl aus Istanbul die christliche
    Bevölkerung nach Syrien zu vertreiben. Dabei sollen Wegstrecken
    gewählt werden, die nur schwach besiedelt sind. Der tscherkessische
    Arzt telegrafierte bereits am 18. August, dass es ihm gelungen sei
    126.000 Menschen zu vertreiben.

    126.000 Menschen in nur drei Tagen! Es gibt Berichte, die besagen,
    dass den Vertriebenen vor den Stadtmauern noch Kleidung und Schmuck
    abgenommen wurde. Jeder kam und machte mit den Leuten was er wollte,
    manche nahmen sich Mädchen und Frauen, heirateten oder vergewaltigten
    sie.

    In Berichten deutscher Diplomaten, die ich aus Materialien des
    historischen Seminars Zurich einsah, heiÃ~_t es bereits im Juli
    1915, dass Dr. Reschid in der Nähe von Mardin 700 Christen "wie
    Hammel abgeschlachtet" habe. Der Gouverneur wurde als "Bluthund"
    beschrieben. Er selbst handelte offenbar im Bewusstsein, das einzig
    Richtige zu machen. Seine Taten erklärte er später so:

    "Doktor zu sein lieÃ~_ mich nicht meine Nationalität vergessen. In
    dieser Situation dachte ich bei mir, He, Doktor Reschid! Es gibt zwei
    Alternativen: Entweder werden die Armenier die Turken liquidieren,
    oder die Turken sie! Vor die Notwendigkeit gestellt, zu wählen,
    zögerte ich nicht lange. Mein Turkentum triumphierte uber meine
    ärztliche Identität. Die Geschichte anderer Völker kann uber mich
    schreiben, was sie will, mich bekummert's gar nicht. Die armenischen
    Banditen waren eine Menge schädlicher Mikroben, die den Körper des
    Vaterlandes befallen hatten. War es nicht die Pflicht des Arztes,
    die Mikroben zu töten?"

    Die Menschen beginnen in ihren Familien nachzuforschen

    Wie viele Christen zwischen 1915 und 1916 starben, ist nicht bekannt.

    Fur mich persönlich spielt es keine Rolle, ob es 700.000, 800.000
    oder eineinhalb Millionen waren. Wichtig ist zu begreifen, dass Burger
    in Diyarbakir und anderswo zusahen, wie ihre Mitburger misshandelt
    und umgebracht wurden - oder sogar dabei mitmachten. Ã~Dhnlich wie
    die judische Bevölkerung in Deutschland, waren auch die Armenier
    integrierte Mitburger. Sämtliche Rechtsanwälte, Ã~Drzte und Apotheker
    waren Armenier, der zweite Vorsitzende des Parlamentes in Diyarbakir
    war immer ein Armenier, die Hälfte der Mitglieder im Stadtparlament
    waren Armenier.

    1914 lebten laut einer offiziellen Zählung alleine in Diyarbakir
    72.926 Armenier, davon 9.660 Katholiken, 7.376 Protestanten, der Rest
    gregorianisch-apostolische Armenier.

    Als Å~^eyhmus Diken 2011 auf der kurdischen Buchmesse in Diyarbakir
    die Eröffnungsrede hielt, fragte er die 400 Gäste: "Wie viele von
    euch sind Armenier?" Es meldeten sich sechs Leute. Dann fragte er:
    "Wie viele von euch wissen, dass der Opa oder die Oma armenisch
    sind?" 200 Finger hoben sich.

    Es beginnt sich etwas zu ändern. Die Menschen forschen in ihren
    Familien und wollen wissen, wer Opfer und wer Täter war. Wäre ich
    damals in diesem Raum gewesen, hätte ich auch zu denen gehört,
    die bei der zweiten Frage den Finger gehoben hätten. Meine Tante
    ist Armenierin und uns Kindern war es verboten daruber zu sprechen.

    WeiÃ~_ ich wirklich, dass ich nicht auch einer Täterfamilie angehöre?

    Diese Tabus gehören der Vergangenheit an. Man kann heute in der Turkei
    uber den Völkermord an den Armeniern sprechen, allerdings muss man
    damit rechnen, dass nationalistisch gesinnte Teile der Bevölkerung
    durchdrehen, wenn man es macht. Und es wird von offizieller Seite keine
    Verantwortung fur deren Taten ubernommen. Es stimmt, was Diken sagt:
    es braucht in so einer Atmosphäre Mut zu sagen "Wir verdammen die
    Mörder. Wir schämen uns!" Es gehe nicht darum Hass und Zwietracht
    zu säen, sagt Diken, sondern den Teppich zu luften. Ich fuhle mich
    diesen Autoren nahe. Denen, die trotz allem Widerstand, weiter daruber
    schreiben, sich nicht einschuchtern lassen.

    Meine Tante wurde von meiner alevitisch-kurdischen Familie vor der
    Deportation gerettet, das macht mich froh und ist fur mein Leben eine
    Verpflichtung zum Handeln.

    Aber weiÃ~_ ich wirklich, dass ich nicht auch einer Täterfamilie
    angehöre? Selbst wenn kein Familienmitglied persönlich Hand angelegt
    haben sollte, so waren die Christen in der Turkei wie auch die Juden
    in Deutschland Mitburger - ich schäme mich unendlich dafur! Wer
    zu einer so einfachen wie empathischen Reaktion wie Bedauern oder
    Scham angesichts von Völkermorden nicht fähig ist, sondern wie
    verruckt Belege fur die angebliche Schuld der von Pogromen verfolgten
    Minderheiten sucht, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen. In der
    Turkei aber auch in Deutschland leben Leser, die nur die Rhetorik
    der Nationalisten kennen, nach dem Motto, "die Kurden, Aleviten
    oder Armenier gefährden die Einheit der Nation". Mit Leuten, die
    Menschenrechtsverletzungen nicht als solche benennen können, kann
    man keinen Weg der Versöhnung gehen, das ist mir klar geworden.

    In Diyarbakir aber ist Versöhnung zu spuren, zumindest zwischen
    Armeniern und Kurden, die Militärhubschrauber aber drehen derweil
    ihre Runden und beäugen misstrauisch die Menschen.

    http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-08/kolumne-tuerkische-tage-diyarbakir-armenien-tuerkei

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